von Anton Pawlowitsch Tschechow
Inszenierung: Yuri Kordonsky
Deutsche Fassung: Ilse Schneyder
"Ein Sujet für eine kleine Erzählung. Am Ufer eines Sees lebt von Kindheit auf ein kleines Mädchen wie Sie; sie liebt den See wie eine Möwe und lebt frei und glücklich wie eine Möwe. Da kommt zufällig ein Mann vorbei, sieht sie und tötet sie aus purer Langeweile, so wie diese Möwe da."
Auf einem Landgut kommt eine Gruppe Menschen rund um die alternde Schauspielerin Irina Nikolajewna Arkadina zusammen. Ihr Bruder Sorin, ihr Geliebter, der Schriftsteller Trigorin, ihr Sohn Trepljow, der sich ebenfalls im Schreiben versucht, seine Geliebte Nina, die in seinem Stück spielt, außerdem die Gutsverwalter und ihre Tochter, ein Arzt und ein Lehrer. Nina, die den Wunsch hegt, Schauspielerin zu werden, lässt sich von Trigorins Erfolg beeindrucken und verliebt sich in ihn. Damit bringt sie die Beziehungen aller untereinander ins Wanken und es entsteht eine ganze Kette unglücklich Liebender, deren Scheitern am eigenen Anspruch zudem ihr Leben und ihre Gespräche bestimmen.
„Wie nervös und voller Liebe sie alle sind! Das Problem der tschechowschen Figuren in der Möwe, raffiniert hervorgehoben durch die Regie Yuri Kordonskys, ist, dass keiner von ihnen in denjenigen verliebt ist, den er lieben sollte, dass die Liebe aller unerwidert ist.[...]
Die tschechowschen Figuren, das Publikum der ersten und einzigen Aufführung von Trepljows Stück, sitzen unter uns. […]
Die Kunst und Weisheit Yuri Kordonskys – Wer ist eigentlich der Schöpfer einer neuen Art zu denken und Theater zu machen, wie sie sich hier und jetzt offenbart? Zweifellos der Regisseur Yuri Kordonsky. Nein, Yura hat nichts von Trepljows Rebellentum. Nein, der Regisseur wird seiner Inszenierung nicht die Emotion nehmen. Aber er wird sie nicht exzessiv einsetzen, er wird sie nicht übersteigern oder begünstigen. Die Emotion wird auf natürliche Weise aus der Tiefe dieses Abends entstehen, aus der Menschlichkeit der Inszenierung, an der wir teilnehmen, aus der wohlkontrollierten Clownerie der Helden. Yura geht nicht so roh mit den tschechowschen Figuren um, wie sich Andrei Şerban bei seinen Produktionen in Klausenburg oder Budapest erwiesen hat. Milde ist er jedoch auch nicht. Stattdessen lässt sich der Regisseur auf einige Mutproben ein, die sich in der Originalität der Inszenierung und dem hohen Grad ihrer Neuartigkeit niederschlagen. Die radikalsten Entscheidungen betreffen die Gestaltung der Schlüsselfiguren, namentlich des Arkadina-Saretschnaja-Trepljow-Trigorin-Quartetts, und wie die Schauspieler besetzt wurden. Große, angenehme Überraschungen sind mit Sicherheit die brillianten Darbietungen von Olga Török und Horia Săvescu. Überhaupt sind alle Schauspieler sehr gut. Sie gehen vollkommen in ihren Rollen auf. Sie wissen, was sie tun. Und das aus dem offensichtlichen Grund, dass Yuri Kordonsky das Stück nicht mit allen Bewegungen im Notizbuch festgehalten hatte, bevor er nach Temeswar kam. Ohne Zweifel wusste der Regisseur noch vor der ersten Probe sehr genau, was er wollte. Und er hat seinen Wünschen Ausdruck verliehen. […] Als einer der führenden Leute auf seinem Gebiet ist Yuri Kordonsky auf einen der besten Theaterintendanten des Landes, Lucian Vărşăndan, sowie auf eines der unkompliziertesten und spielfreudigsten Ensembles getroffen.”
"Es hat mich tief beeindruckt, wie er diese Aufführung ausgedacht hat. Genau wie der vom Bühnenbildner vorgeschlagenen Raum. Ich habe die Energien eines ENSEMBLES entdeckt. Und das ist ausgezeichnet! [...] Die Schwingung einer Leistung wie diese "Möwe" kommt von der gründlichen, einwandfreien Art und Weise, wie der Text bis in sein Letztes ausgesprochen und verinnerlicht wird. Sie kommt aber auch von den Schweigen derjenigen, die das Sagen des Anderen, sein Schaffen und Schweben in einer wunderbaren Sekunde einfach unterstützen. Kordonsky weiß, wie er die Flügel jeden Schauspielers zum Vorschein bringen kann. Engelsflügel, Teufelsflügel."
„Selten habe ich die Gelegenheit gehabt, eine Tschechow-Aufführung mitzuerleben, wo der Bühnendirektor das Publikum zu einem riesigen Gefühl vom Verständnis führt, einem Gefühl von unerwarteter Vertrautheit und Einfühlung, von Liebe für das Theater und Respekt für die zauberhafte Beziehung zwischen den Zuschauern und den Helden des Stückes. [...] Jetzt, in der Möwe, schafft die Faszination der Nähe zwischen Darstellern und Zuschauern ein gemeinsames magnetisches Feld, eine auf der emotionellen Ebene immer herausfordernde Interferenz oder einen quälenden Bedarf in jedem Moment diese physische Nähe in das zarte Verständnis von jeder Geste, der Bewegung, der Worte und Schweigen, des inneren Lebens und der Beziehungen zwischen den Figuren umzuwandeln. [...] In dieser Aufführung ist die ganze menschliche Welt vor auffälliger Theatralität, übertriebenem Pomp oder einer gegenüber dem Gesamten schauspielerischen Übereifrigkeit geschützt. Die begabte Arbeit mit den Darstellern ist zu jedem Moment spürbar, wo sie unter den schwierigen publikumsnahen Bedingungen doch eine eher simple, manchmal grobe und manchmal zärtliche oder lustige Interpretationsorientierung aufweisen."